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Was ist Gewalt im Namen der Ehre?

Gewalt im Namen der „Ehre” ist eine spezifische Form geschlechtsbezogener Gewalt, die sich von anderen Formen von Gewalt im engsten sozialen Umfeld durch die Legitimation unterscheidet: Die „Ehre”, also das soziale Ansehen, die Wertschätzung und die Selbstachtung einer Familie, wird davon abhängig gemacht, dass rigide, patriarchal geprägte Sexual- und Geschlechtsrollen befolgt werden.

Frauen und Mädchen gelten als Trägerinnen der „Ehre”. Ihnen wird Keuschheit und Gehorsam abverlangt. Jungen und Männern kommt die Aufgabe zu, die weiblichen Familienmitglieder zu überwachen und die „Ehre” zu verteidigen, sie stehen jedoch auch selbst unter dem Druck, einem patriarchalen, heteronormativen Bild von dominanter Männlichkeit zu entsprechen und den familiären Autoritätspersonen gegenüber gehorsam zu sein.

Verstöße gegen diese Rollen müssen verhindert oder bestraft werden, um die „Ehre” aufrecht zu erhalten. Dazu gehören zum Beispiel:

  • vor- oder außereheliche Beziehungen, Flirten, sexuelle Kontakte (auch, wenn diese nicht einvernehmlich waren) oder Schwangerschaft
  • Kontakte zu Personen, die die Familie ablehnt
  • Verweigerung einer arrangierten Ehe
  • Trennungs- oder Scheidungswunsch
  • Homosexualität, Transgeschlechtlichkeit
  • Widerstand gegen Vorgaben zu Kleidung oder Freizeitgestaltung, Streben nach Unabhängigkeit (Berufswünsche, Auszug aus der elterlichen Wohnung etc.)

Kontrolle, Druck und Gewalt werden in der Regel nicht von einer einzelnen Person ausgeübt, sondern durch weitere Angehörige oder das gesamte Familiensystem mitgetragen und befürwortet.

Zum Begriff der „Ehre”

Wir verwenden den Begriff „Ehre” in Anführungszeichen, um unsere Distanz dazu auszudrücken, denn er ist in vielerlei Hinsicht problematisch:
Zum einen entstammt das Konzept der „Ehre“ der Logik der Täter*innen und wird eingesetzt, um ihre Autorität zu sichern, Betroffene zu disziplinieren, individuelle Freiheit vor allem von Frauen zu delegitimieren und Gewalt zu rechtfertigen.
Zum anderen wird dieser Begriff im öffentlichen Diskurs oft gezielt genutzt, um patriarchale Gewalt als „Minderheitenproblem“ oder kulturelle Eigenart einzelner Bevölkerungsgruppen zu relativieren oder um Ressentiments gegen bestimmte (post-)migrantische Milieus zu schüren. Für Menschen, die von ‚Ehrgewalt‘ betroffen oder bedroht sind, bedeutet das zusätzliche Marginalisierung und Stigmatisierung.