Infos für Fachkräfte

Was Fachkräfte tun können

Sowohl im Einzelfall als auch präventiv können Fachkräfte gegen Gewalt im Namen der „Ehre“ tätig werden.

Im Einzelfall:

Wenn Sie Warnzeichen festgestellt haben und vermuten, dass eine Person von Gewalt im Namen der „Ehre“ oder Zwangsverheiratung betroffen sein könnte, sollten Sie Kontakt zu einer Fachstelle aufnehmen, um sich kollegialen Rat zu holen.

Um die Situation einschätzen zu können, sollte man sich zunächst ein möglichst umfassendes Bild von der Lebenslage der Betroffenen machen: Welche Bezugspersonen sind wichtig? Ist die Familie in einer stabilen Situation oder stehen Umbrüche an? Wie eigenständig und wie frei in ihrer Alltagsgestaltung ist die betroffene Person, wieviel Kontrolle übt das Umfeld aus? Welche Abhängigkeiten – emotional, finanziell oder anderweitig – bestehen?

Sie sollten das persönliche Gespräch unter vier Augen mit der betroffenen Person suchen. Berichten Sie ihr, dass sie den Eindruck haben, dass sie sich verändert hat, vielleicht bedrückt oder angespannt wirkt. Signalisieren Sie, dass Sie besorgt sind und fragen Sie offen nach der Ursache, aber verzichten Sie dabei auf kulturelle oder religiöse Deutungen. Fragen Sie auch danach, wie die Betroffene selbst ihre Gefährdungslage und das Eskalationspotenzial einschätzt, und versuchen Sie, sich ein Bild von der Gewaltdynamik und ggf. vorangegangenen familiären Konflikten zu machen. Beachten Sie dabei auch, wie verstrickt die Person ist: Loyalitätskonflikte, Ambivalenzen und Schuldgefühle können dazu führen, dass sie ihre Gefährdung herunterspielen und Täter*innen in Schutz nehmen. Wenn sie vermuten, dass bei einer anstehenden Reise die Zwangsverheiratung geplant ist, fragen Sie nach dem Reiseziel, dem Anlass und auch nach dem geplanten Rückkehrdatum.

Generell sollten Sie ein vertrauensvolles Umfeld schaffen, indem Sie klar benennen, dass es Ihnen um das Wohl der Betroffenen geht und Sie der Familie oder dem Umfeld nicht davon berichten werden. Um die betroffene Person nicht in einen Loyalitätskonflikt zu bringen oder in die Defensive zu treiben, ist es wichtig, nicht über ihre Wertvorstellungen zu urteilen und insgesamt einfühlsam mit ihrem kulturellen Referenzrahmen oder ihren religiösen Überzeugungen umzugehen. In diesem Gespräch sollten Sie auch erklären, dass es spezialisierte, vertrauliche Hilfeangebote gibt, und anbieten, den Kontakt herzustellen.

Auf Grundlage dieses Gesprächs können Sie nun – möglichst in Absprache mit einer Fachberatung – eine erste Situationseinschätzung vornehmen.

Wichtig: Wenn eine konkrete Gefahr vorliegt, zum Beispiel massive körperliche Gewalt droht, eine Zwangsverheiratung angebahnt oder eine Morddrohung ausgesprochen wurde, wenn die Bewegungsfreiheit immer weiter eingeschränkt wird und zu befürchten ist, dass die Betroffene keine weitere Gelegenheit haben wird, Hilfe zu holen oder zu fliehen, sollte sofort gehandelt werden! In einem solchen Fall sollte die betroffene Person sich so schnell wie möglich entziehen. Nehmen Sie spätestens jetzt Kontakt zu einer Fachberatung für Betroffene von Gewalt auf oder wenden Sie sich an die Polizei, bei Minderjährigen auch an das Jugendamt. Auch wenn die Betroffene nicht fliehen und vielleicht auch selbst keinen Kontakt zu einer Fachberatungsstelle aufnehmen möchte, sollten Sie sich dort kollegialen Rat holen, um Handlungssicherheit zu gewinnen.

Auch bei einer latenten Gefahrensituation sollte in Absprache mit der Betroffenen ebenfalls eine Fachberatungsstelle (bei Minderjährigen auch eine Kinderschutzfachkraft) hinzugezogen werden, zumindest um die Gefährdungseinschätzung noch einmal mit einer erfahrenen Kollegin zu besprechen. Außerdem sollten Sie mit der betroffenen Person konkrete Vereinbarungen für den Fall treffen, dass sich die Situation zuspitzt. Zum Beispiel sollte besprochen werden, wie sie Hilfe holen kann, an welche vertrauenswürdigen Personen sie sich wenden und wie sie im Notfall aus ihrem Umfeld fliehen kann. Achten Sie darauf, dass die Betroffene die Telefonnummern der Polizei, des Hilfetelefons Gewalt gegen Frauen und ggf. weiterer Vertrauenspersonen zur Hand hat und auch darauf zugreifen kann, wenn ihr das Mobiltelefon entzogen wird. Bei Unsicherheiten sollten Sie auf jeden Fall Rücksprache mit Kolleg*innen halten oder eine Fachberatung hinzuziehen, um verhängnisvolle Fehler zu vermeiden.

Präventiv:

Um ein Bewusstsein für Gewalt im Namen der „Ehre“ zu schaffen und potenziell Betroffene sowie ihr Umfeld frühzeitig zu erreichen, ist Prävention sehr wichtig. Ob in der Schule, auf dem Elternabend, im Jugendtreff oder in Sammelunterkünften: Der Austausch über Themen wie Gewaltfreiheit in der Kindererziehung und in der Beziehung, Menschen- und Kinderrechte, Geschlechter- und Generationenverhältnisse und Selbstbestimmung in der Lebensgestaltung sollte überall Raum finden. Bei Jugendlichen sollte zum Beispiel auch im Rahmen sexualpädagogischer Maßnahmen über Konsensualität gesprochen und das Jungfräulichkeitsdogma hinterfragt werden.

Die Träger des 2RegionenNetzwerks bieten Präventionsangebote für unterschiedliche Zielgruppen sowie Fortbildungen für Fachkräfte. Bei Interesse sprechen Sie uns gern an!

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