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Hintergründe

Das Dogma der „Ehre” kann nicht bestimmten (National- oder Ethno-)Kulturen zugeschrieben werden, sondern kommt in mal marginalen, mal hegemonialen, autoritär-kollektivistischen Strömungen innerhalb diverser kultureller Gruppen und Gesellschaften vor. Es wird eingesetzt, um patriarchale, heteronormative Geschlechter- und Generationenverhältnisse zu stabilisieren, Einzelne zu disziplinieren und zur Opferbereitschaft zum Wohl des Kollektivs anzuhalten. Die Versagung der „Ehre” wird genutzt, um jene, die von der Norm abweichen, zu beschämen, zu ächten, zu reglementieren und mit sozialer, psychischer und physischer bis hin zur tödlichen Gewalt zu bestrafen. Der Sprachgebrauch und Wertekanon illiberaler, chauvinistischer Gesellschaften und Strömungen – bis hin zum Ehrenkult des Nationalsozialismus und heutiger völkischer Bewegungen – liefern viele Beispiele dafür.

Ein gesamt­gesellschaftliches Problem

In der öffentlichen Debatte wird Gewalt im Namen der „Ehre” oft undifferenziert dargestellt und selten in ihrer gesamtgesellschaftlichen Bedeutung analysiert. Auch sozioökonomische und psychosoziale Einflussfaktoren werden selten sachlich thematisiert. So wird das Phänomen in der öffentlichen Wahrnehmung häufig kulturalisiert und als Minderheitenproblem bagatellisiert. Manche Akteure instrumentalisieren das Thema, um durch Dramatisierung und Exotisierung Misstrauen und rassistische Vorurteile gegen (post-)migrantische Milieus zu schüren und zu verallgemeinern. Unter dem Vorwand des Engagements gegen Gewalt setzen sie Menschen, die von „Ehrgewalt” betroffen oder bedroht sind, zusätzlich der Marginalisierung und Stigmatisierung aus.

Die Mitglieder des 2RegionenNetzwerks verstehen Gewalt im Namen der „Ehre” deshalb als gesamtgesellschaftliches Problem und ihre Überwindung als vereinendes Anliegen. Die erfolgreiche Arbeit gegen „Ehrgewalt” erfordert eine intersektionale Perspektive, denn verschiedene Diskriminierungssysteme wie Rassismus, Sexismus, Frauen- und Queerfeindlichkeit wirken gleichzeitig und verstärken sich gegenseitig.